Dienstag, 20. März 2012

chtung, kleines Frustabladepost. Wer sich den schönen Sonnentag nicht verleiden lassen will, schaut in ein paar Tagen wieder rein. ;-)
Gestern hatte ich Orchesterprobe. Ein Dirigent, den ich noch von früher kenne, hat mich gefragt, ob ich zur Aufstockung seiner Bratschengruppe bei einem Konzert zum Gedenken an jüdische Musiker unter anderem das Mendelssohn-Violinkonzert in e-Moll mitspielen will; die Sologeigerin kommt für die Endproben und das Konzert extra aus Hannover. Ich fand's toll und hab natürlich ja gesagt. "Du müsstest dann auch ein bisschen mit den Bratschen üben, Fingersätze und Striche und so", hat er auch gemeint. Das Orchester ist vornehmlich aus Schülern und jungen Erwachsenen rekrutiert; es gibt blöderweise nur vier Bratschen, was für das Repertoire ein bisschen wenig ist, die Jüngste ist vierzehn. Beim Spielen des dritten Satzes drehte ich mich gelegentlich um, um zu sehen, ob sie mitkam, allerdings saß sie in aller Seelenruhe mit der Bratsche in den verschränkten Armen auf ihrem Platz und starrte auf ihr Handydisplay.
"Spielst du den dritten Satz gar nicht mit?", frug ich also leicht perplex in einer Pause.
"Nein, mein Lehrer sagt, ich soll noch nicht, der ist zu schwer."
"Wer ist dein Lehrer?"
"XY vom Suzuki-Spielclub."
Es stellte sich dann heraus, dass das Mädchen nicht nur den kompletten dritten Satz, sondern auch weite Teile des zweiten und vier Zeilen im ersten Satz nicht mitspielen 'sollte', auch am Konzertabend nicht. Das war mit dem Dirigent, einem Freund des Suzukilehrers, abgesprochen. Ich bin etwas schockiert. Für Bratschen ist das Mendelssohn-Konzert kein Ding der Unmöglichkeit, es verlangt, abgesehen von ein paar rhythmisch etwas diffizilen Stellen, wo man auf die anderen horchen muss, lediglich, dass man sich einmal hinsetzt und über einen geeigneten Fingersatz nachdenkt und zweimal mit einem Metronom alles durchgeht. Nein, die Kleine durfte das nicht, ihr Suzukilehrer, der sie seit der zweiten Klasse betreute, befand das für zu schwer. Ich komme mir etwas alt vor. Ich hatte den konventionellen Instrumentalunterricht des 20. Jahrhunderts: bei einem etwas frustrierten alten Ukrainer, der mich so lange Kreuzer-Etüden in einfacher, doppelter, dreifacher Geschwindigkeit durchexerzieren ließ, bis ich einen Krampf in den Fingern hatte. Dafür konnte ich dann aber auch in der 7. Klasse bei Konzerten von Mozart, Rheinberger und Tschaikowsky mitschrammen, vielleicht nicht besonders schön, aber technisch gut genug, um mit allen anderen Schritt zu halten - und vor allem das ganze Stück und nicht nur die langsamen Liegenoten und ein paar Nachschläge. Ja, ich hätt's schön gefunden, in der Grundschulzeit auch nach Suzuki unterrichtet zu werden, bei einem netten, warmherzigen Lehrer, der Freude an der Musik und nicht Repertoireperfektion für das Nonplusultra des Instrumenterlernens hielt, aber wenn man nach sechs Jahren Unterricht noch immer nicht in der Lage ist, ein technisch eher im Mittelfeld liegendes Mendelssohn-Konzert ganz mitzuspielen, zweifle ich dann doch an der Wirksamkeit dieser Methode.
Das war das eine. Das andere betrifft das andere Extrem auf der Skala nerviger Streicher-Heimsuchungen: ich soll zwar überall schauen, dass alle mitkommen, mit der 1. Geige Striche durchsprechen und mir geeignete Fingersätze überlegen, auf der Stimmführerposition hockt aber ein Ekel von Abiturientin, die sich auf die Aufnahmeprüfung am Konservatorium für Violine vorbereitet und keine Gelegenheit auslässt, lauthals ihren Unmut darüber kundzutun, dass sie a) nicht die Solistin ist, obwohl sie das Konzert ach so toll spielen kann b) nicht die Konzertmeisterin ist, obwohl die Konzertmeisterin ach so unfähig ist und c) dass sie den Dirigenten nicht leiden kann. Der Dirigent ist ein netter Schulmusiklehrer, etwas hysterisch zwar, aber harmlos. Eigentlich wollte er das Mädel irgendwo in der Mitte der 2. Geigen besetzen, damit sie die hinteren Pulte mitzieht, aber da kam es, wie mir eine aus der selbigen Geige schaudernd erzählte, zum Eklat, weil entweder sitzt sie ganz vorne oder sie spielt nicht mit. Das ist traurig. Eine Instrumentengruppe im Orchester anzuleiten ist keine Prestigesache, sondern eine Frage des Verantwortungsgefühl für seinen "Bereich" und der Loyalität dem Gesamtkorpus gegenüber - man sitzt ja nicht in einem Wettbewerb gegen alle anderen, sondern in einem Kollektiv, das zu einem Lebewesen verschmelzen soll, in dem die einzelnen Organfunktionen wie geschmiert miteinander harmonieren. Das will nicht in den blöden Schädel meiner blöden Sitznachbarin, die alles durchweg fortissimo spielt, damit jeder hört, was für eine tolle Streicherin sie ist. Man muss es allerdings sagen, sie spielt wirklich ausgezeichnet und wird mal sicher eine exzellente Solistin - hoffentlich, denn einem Orchester ist eine solche Person nicht zumutbar. Nun diskutier ich also mit dem Rest der Truppe Fingersätze aus, sprech mit der ersten Geige die Striche durch, ermuntere die kleine Suzukibratsche, doch mal wenigstens probehalber die wunderschönen Achtelwellen im 1. Satz mitzumachen, zähle beim Spielen alle Pausen durch und hole vom Dirigenten die Einsätze so ab, dass das hintere Pult das auch mitbekommt - als man mich also bat, den Platz zu wechseln, damit der Mann weiß, wen er beim Einsatzgeben angucken muss, stimmte die offizielle Stimmführerin ein Geheul an, als hätte man sie persönlich schwer beleidigt. Hinterher gab's dann große Diskussion. Nein, sie sähe das ja gar nicht ein, dass sie den ganzen Technikkram den anderen Bratschen diktieren soll, wenn die nicht von selbst drauf kämen und das übten, könne sie auch nichts machen und nein, die Striche wüsste sie auch so, das müsse sie doch nicht extra mit der Konzertmeisterin (die ja eh so blöd sei) durchsprechen. Ich schaltete auf 'Ich-werde-ganz-ruhig-und-in-meinem-Kopf-ertönt-nichts-als-Debussy-und-Meeresrauschen'- Modus und machte, nachdem sie abgedampft war, mit dem völlig am Boden zerstörten Dirigenten aus, dass sie halt sitzen bleiben solle, wo sie will, und wenn es Einsätze gibt, schaut er sie eben an wie sich das gehört, ich bekomm das auch so mit, und wenn man die Suzukibratsche nur ein wenig weiter ermutigt, kann die den 1. Satz komplett spielen, dann stimmt auch der Gesamtklang wieder. Er tat mir einfach so leid, der arme Kerl. Eine solche, Verzeihung, Rampensau dulden zu müssen, weil man nur mit ihr das nötige Volumen erreicht, das verdirbt wirklich den ganzen Spaß an der Sache.
So, jetzt geht's wieder. Ich bin übrigens erkältet *schnief*, wenn die Sonne etwas höher steigt, werde ich mich in den Garten setzen und Energie tanken. Bis dahin noch einen Kaffee.

1 Kommentar:

  1. O weh, Du Arme... kein Wunder, daß Du erkältet bist. Von sowas hätte ich auch bald die Nase voll. =( Und wie ich aus Musik-Studierzeiten noch weiß, sind Rampensäue eher die Tagesordnung in diesem Alter - und leider auch oft später. Ich finde es immer entsetzlich, wenn Leute Ihre Selbstdarstellungsneurosen über die Musik stellen, so peinlich-disneyhaft das vielleicht klingt, aber man müßte doch als (angehender) Musiker imstande sein, sich selbst für den Mendelssohn mal zurückzunehmen. Andererseits bin ich das beste Beispiel dafür, daß man mit dieser Einstellung keine Karriere macht. :-/

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